Spitzwegerich-Suppe oder Eichel-Kaffee? Outdoor boomt: Welche essbaren Pflanzen Menschen in Ettlingen und dem Albtal sammeln Draußen in der Natur etwas Essbares finden und sogar überleben? Wie das funktionieren kann, interessiert immer mehr Menschen – auch in Ettlingen und dem Albtal. Naturführer erzählen, was gesund ist.
Foto: Julian Weber
Fabian Weber (rechts) aus Straubenhardt führt Menschen in die Natur, wo auf ungewohnte Art Mahlzeiten zubereitet werden.
von Rainer Obert 21. Sept. 2022 | 09:30 Uhr 3 Minuten 21. Sept. 2022
Die Corona-Pandemie hat seit 2020 für massive Einschränkungen gesorgt – doch hat sie zumindest eines positiv bewirkt: Sie hat das gute Verhältnis vieler Menschen zur Natur vor der Haustür entweder verstärkt oder erst wachsen lassen.
Zunehmend erforschen die Menschen, was in der Natur doch alles essbar ist. Ob als Überlebensstrategie für den Notfall oder Bereicherung der heimischen Küche.
Abseits des Sammelns etwa von Kastanien oder Pilzen rücken essbare Pflanzen ins Bewusstsein. Zwei Anbieter von Naturerkundungen berichten von erheblichen Aha-Effekten – letztlich auch für die Gesundheit.
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„Man kann sich ganz gut immer wieder etwas zusammen suchen“, betont Monika Amann aus Bad Herrenalb. Die zertifizierte Natur- und Landschaftsführerin schwört auf Geschmack und Inhaltsstoffe von Wildpflanzen.
Das Interesse an den „Geheimnissen“ der Natur sei stärker als früher. „Wenn man sich an Wildpflanzenkost gewöhnt hat, vermisst man gar nichts“, sagt Amann, die auch als Schwarzwald-Guide vom Naturpark Schwarzwald Mitte-Nord geführt wird.
Landschaftsführerin aus Bad Herrenalb kocht viel mit Spitzwegerich
Bei ihren Wildkräuterexkursionen fehle es nie an Essbarem aus der Natur. Die Inhaltsstoffe schlügen die herkömmlichen Salate wie Kopf- oder Eisbergsalat um Längen.
„Spitzwegerich etwa gehört eigentlich in jedes Essen“, meint sie. Vitamin C und B-Vitamine, Mineralstoffe wie Kieselsäure, Zink und Kalium hat der in sich. „Der kann viel.“ Blätter und Blütenähren sollen im Geschmack an Pilze erinnern.
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Im Albtal fänden sich viele weitere essbare Pflanzen, klassisch beispielsweise Löwenzahn, Giersch, Schafgarbe oder Vogelmiere. Junge Blätter seien zu bevorzugen.
Löwenzahn etwa wird ein Geschmack ähnlich dem von Chicorée nachgesagt, Vogelmiere schmecke wie junger Mais, das Aroma der Schafgarbe erinnere an Muskat.
Doch müssen sich laut Monika Amann Wildkräuter-Freunde nicht mehr nur in der Natur bedienen. „Mittlerweile sind Samen in Gärtnereien zu kaufen und man kann auf dem Balkon kultivieren.“ Da manches im Volksmund zum „Unkraut“ gezählt wird, kann dies ergiebig sein. „Es wächst alles geduldig und ausdauernd nach.“
Straubenhardter lehrt auch das Überleben in der Natur
Geduldig und ausdauernd hält sich seit Kindertagen Fabian Weber im Wald auf. Der 26-Jährige aus Straubenhardt ist Outdoor-Guide, hat sich vor drei Jahren selbstständig gemacht, nachdem er „mit dem Job unzufrieden war“.
Er beschäftigt sich auch mit dem Überleben in der freien Natur, Stichwort „Survival“. Auf dem Land in Langenalb aufgewachsen, habe er als Jugendlicher schon „Bushcrafting“ gemacht, in selbst gebauten Hüttchen im Wald übernachtet.
Wald und Wiese in der Küche Was man aus der Natur für den Verzehr verwenden kann, ist äußerst vielfältig. Rezepte finden sich üppig in Büchern oder im Internet – zwei Beispiele: Spitzwegerich-Suppe: Roh oder gedünstet kann er verzehrt werden. Für die Suppe empfiehlt Monika Amann, die Blätter quer zur Faser zu schneiden, dann mit Créme fraîche pürieren und nach Geschmack würzen. Spitzwegerich-Blätter und -Blütenähren hätten eine Pilznote, der Geschmack wird mit Champignon-Crémesuppe verglichen. Eichel-Kaffee: Wie Ältere erzählen, wurde in der Not nach dem Krieg ein Kaffee-Ersatz aus Eicheln gekocht. Wie geht das? Eicheln müssen hierfür von Schale und der dünnen Haut befreit werden. Sie kommen 24 Stunden in eine Schüssel mit warmem Wasser, das entzieht Gerbstoffe. Getrocknet und klein gehackt wird in der Pfanne ohne Fett eine halbe Stunde geröstet, dann in der Kaffeemühle gemahlen oder mit Mörser zerstoßen. Das Pulver könne per Filtertüte aufgebrüht oder zwei Teelöffel in eine Tasse heißes Wasser gerührt werden. Der „Kaffee“ soll die Verdauung anregen.
Die Nachfrage nach Outdoor-Erlebnissen sei ordentlich gestiegen. Die Liebe zur Natur sei das Eine. „Es gibt aber auch immer mehr Leute, die beunruhigt sind“, so Weber.
Vorräte anzulegen und sich die Natur zunutze zu machen, das rücke mehr ins Bewusstsein. Das gehe bis zum „Prepper“, was sich vom englischen Wort „prepare“, zu Deutsch „vorbereiten“, ableitet. Also Menschen, die sich für eine wie auch immer geartete Katastrophen- oder Krisensituation rüsten, um dann überleben zu können.
Der Katastrophenfall treibt so manchen Teilnehmer um
„Man darf den Teufel nicht an die Wand malen“, betont Outdoor-Guide Weber. Er für sich wisse jedoch: Kommt es tatsächlich zur Katastrophensituation, könne er seinen Rucksack packen und losziehen.
„Mir würde es gut gehen draußen“, sagt er. Zu dritt sei man inzwischen in der Selbstständigkeit unter dem Namen „The Outdoor Sense“. Und „es trägt sich“, sagt er, zur wirtschaftlichen Situation. Weber betreibt auch noch eine Schmiede und gibt Kurse.
„Auch die Heilkunde der Naturkräuter ist für mich interessant.“ Deshalb setzt er zum Beispiel Spitzwegerich an. „Der wirkt antiseptisch und wirkt blutstillend.“ Bei einer Wunde könne man den Wegerich einfach kauen und auf die Wunde auftragen.
Kräutersuche per App Eine Wildkräutersuche erleichtern inzwischen Apps, die mit am Handy gemachten Bildern die fragliche Pflanze zu identifizieren helfen. Eine solche ist Flora Incognita (kostenlos), ein preisgekröntes Gemeinschaftsprojekt von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena und der Technischen Universität Ilmenau.
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